Kunst
ist die Vernunft selbst, die durch das Genie verschönt ist, aber einen
vorgeschriebenen Weg geht und durch höhere Gesetze in Schranken gehalten
wird." Frederic Chopin
15.-18.August 2002
18.CHOPIN - FESTIVAL in GAMING/NÖ.
Mit
dem Einzug der Musikkapelle Gaming unter Kapellmeister Andreas Jonas
und der Goldhauben-Trachtengruppe Lackenhof begann die feierliche Eröffnung.
Im Prälatensaal
gedachte Dr.Theodor Kanitzer, Präsident der Internationalen Chopin-Gesellschaften,
auch der vielen Opfer der Flutkatastrophen. Er dankte den Exzellenzen,
Polens Exaußenminister
Prof.Dr.Wladyslaw Bartoszewski und Univ.Prof.Dr.Irena Lipowicz, Botschafterin
Polens in Österreich, für ihre lange Besucher-Treue, die im "Jahr
des polnisch-österreichischen Kultur-Austausches" auch innerhalb
des Festivals große Bedeutung hat. Wien und nun auch Gaming sind geistige
Heimat Chopins und anderer polnischer Künstler. Kurt Pöchhacker, Bürgermeister
der Gemeinde Gaming, wies darauf hin, dass seit 1985 enge freundschaftliche
Beziehungen zur Chopin-Gesellschaft unter Dr.Kanitzer bestehen, für
die er herzlich dankt und gibt seiner Freude Ausdruck, dass seine Gemeinde
ein anerkannter Treffpunkt von Künstlern und Musikfreunden aus aller
Welt ist. Botschafterin Dr.Lipowicz erinnerte daran, dass Chopins Werke
früher als elegante Salonmusik abgetan wurden. Wir alle wissen es besser.
Bei einem Konzert in Dresden spielte er Polonaisen, um sein Heimweh
zu verkraften; er darf als Europäer bezeichnet werden, der in Gedanken
ein Europa ohne Grenzen und "alle Rechte für alle" ersehnte.
Kunst in Polen hat sehr tiefe Wurzeln, die auch große Liebe zur Heimat
bedingt, alles soll zu Universellem reifen; Gaming und Niederösterreich
haben die Freundschaft zu Polen vorgelebt, weil der tiefere Sinn verstanden
wurde. In Vertretung des dienstlich verhinderten Lh. Pröll gedachte
Landtagsabgeordneter Anton Erber der großen Bedeutung des Festivals
für Österreich, in dem, der nicht ganz freiwillige Weltbürger, Chopin
verdiente Ehrungen erhält, und die Niederösterreich durch Mitarbeit
und Pflege der Kunst wiederum als Auszeichnung empfindet. Damit eröffnete
er das Festival. Architekt
Dipl.Ing. Walter Hildebrand, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat,
die einstmals zur Ruine verfallene Kartause zu restaurieren und daraus
für Augen und Gemüt ein Wunderwerk an Schönheit werden ließ, sagt sehr
treffend: "Im 18.Jahr der Wiederherstellung zeigt sich die neue
Bestimmung der Kartause mit zunehmender Deutlichkeit. Sie wird zu einem
Zentrum der Begegnung von Menschen aus vielen Ländern und unterschiedlicher
Herkunft. Diese vielen Begegnungen in der Kartause Gaming tragen zum
besseren Kennenlernen, zum besseren Verständnis und zur gegenseitigen
Toleranz von Menschen bei, die ganz verschiedenen Nationalitäten, Religionen
und politischen Ideologien angehören." - Zu vielen Studenten aus
aller Welt, die in der Franziskanischen Universität (aus USA), im Theologischen
Institut für Mittel-und Osteuropa, in Gemeinschaften aus El Salvador,
Nicaragua und Honduras innerhalb der Kartause tätig sind, ist auch,
seit ebenso 18 Jahren, eine Vereinigung mit der wohl internationalsten
aller Sprachen, die meist keine Übersetzungen benötigt, hier tätig -
die Musik. Dr. Theodor Kanitzer, Präsident der Internat. Chopin-Gesellschaften,
setzt diese völkerverbindende Arbeit fort, und so wird die landschaftlich
wunderbar gelegene Gemeinde Gaming immer mehr zu einem Pol der Begegnung
jeder Art. Die vier klingenden Tage waren erfüllt von einem instrumentalen
und einem vokalen Teil. In der Kartausenkirche fand unter der sehr bewährten
Leitung von Tadeusz Strugala und dem Niederöstereichischen Tonkünstlerorchester
mit dem klingenden Landschaftsbild "Orawa" aus der polnischen
Tatra von Wojciech Kilar (mit an den Bolero erinnernder Melodie-Wiederkehr
und Steigerung) die musikalische Eröffnung statt.. Dann erklang mit
Polens jüngstem Pianisten Stanislaw Drzewiecki das Klavierkonzert Nr.1
e-Moll op.11 von Frederic Chopin. Dirigent und Orchester boten dem fünfzehnjährigen
Pianisten eine sehr gute Grundlage, sein großes technisches Können zu
zeigen, und man darf sagen, dass er sich auf dem besten Weg befindet,
mit seinen Händen einmal ein "Sänger am Klavier" zu werden,
wie im 2.Satz auch schon zu hören war. Joseph Haydns Symphonie Nr.88
g-Dur, ein Meisterwerk, folgte. Besonders der 2.Satz mit seinen herrlichen
volkstümlichen Melodien verzauberte in seinen 7 Variationen. Im Menuett
schwang die Freude am Tanz, und mit einer bis in die kleinsten Nebenstimmen
hörbaren Lebensfreude schloß das Finale. Mit großem Jubel dankten die
Musikfreunde für dieses 1.Höhepunkt-Konzert. - Das sehr beliebte, kammermusikalische
Dinnerkonzert im Prälatensaal verschönten die Solisten des Festivals
mit den verschiedensten musikalischen Edelsteinen. Dieser Sammlung gehörten
auch 2 Walzer und die Barcarole von Chopin an, und als 2.Höhepunkt spielte
diese Werke Philippe Giusiano, der sehr hoch geschätzte Pianist, den
dieses Mal (Gott sei Dank) der Urlaub hierher geführt hatte. Aber seine
Freude an der Begegnung mit so vielen seiner Musikfreunde wurde für
uns alle zu einem unvergesslichen Erlebnis. - "Nocturno - nächtliches
Konzert bei Kerzenlicht" wurde zu einem intensiven Abend in der
Barockbibliothek. Janko Raseta, der zehnjährige Gitarrist aus Kroatien
eröffnete mit Chopins Walzer Nr.2 op.34, in dem er viele schwierige
Griffe schon recht gut meisterte. Mit "A l´Espagniole" des
Gegenwartskomponisten Aleksander Tansman zeigte er sein Können mit moderner
Musik.- In eindringlichen Worten wies Dr.Theodor Kanitzer darauf hin,
dass Chopin in der Emigration zum Patrioten wurde und sein Werk ein
Beitrag zur europäischen Kultur ist. Dr. Liliana Niesielska, Moderatorin,
Schauspielerin und Übersetzerin las nun die von mir zusammengestellten
Texte über die "Jugend Chopins", in denen nicht nur das heranreifende
Genie, sondern auch der humorvolle Mensch in Scherzen und Überraschungen
gezeigt werden konnte. Bei Frau Niesielskas Lesen wurden auch Worte
zu Musik ! - Die Pianistinnen Cheng Cheng Zhao aus China und Eun Nyung-Erika
Chun aus Südkorea hatten mit ihren Vorträgen (Sonate Nr.2, 1.Satz; Fantasie
f-Moll op.49) nicht ihren besten Tag. Beide Preisträgerinnen vom Chopin-Wettbewerb
in Wien haben wir in guter Erinnerung, aber diesmal ging zuviel in einem
verschwommenen Theaterdonner mit viel Pedal unter. Auch Andreas Donat
gehört zu den Preisträgern. Er hat sich hervorragend weiterentwickelt
und die Ballade Nr.1 sehr stark im Ausdruck und mit vielen zarten Emotionen
klingen lassen. Jaroslaw Drziewiecki, der Vater von Stanislaw, spielte
eine Polonaise, die der siebenjährige Frederic komponiert hatte und
die in ihrer Dramatik, mit schönen Melodien und feinen Passagen großen
Eindruck hinterließ. Die folgende Polonaise Nr. 1 op.26 brachte ein
ausgereiftes, manchmal zu hartes Spiel. Sohn Stanislaw ließ mit den
Präludien op.28/1-8 wieder seine enorme Technik hören, vergaß auch nicht
auf viele Stellen voller Gefühl. Mit den von Tatiana Shebanova gespielten
Mazurken op.17 Nr.1-4 klang das Konzert in polternden Tanzschritten
aus.
Die Pfarrkirche Gaming mit ihrer Mozartorgel lud zu einer Vormittags-Matinee
in vokaler Prägung. Durch die Initiative der Generalsekretärin Prof.
Doris Tarlowski konnten polnische Sängerinnen und Sänger eingeladen
werden. Mit Agnieszka J. Szumilo (Sopran), Barbara Krahel (Mezzosopran),
Kazimierz Myrlak (Tenor), Dariusz Niemirowicz (Bass) begann nun ein
Musizieren, das von Marek Kudlicki an der Orgel und dem Breslauer Streichquartett:
(Andrzej und Katarzyna Woznica, beide Violine, Elzbieta Bolsewicz, Viola
und Urszula Marciniec, Cello) in hervorragendster Weise mitgestaltet
wurde und das die Musikfreunde aus dem erhebenden Staunen nicht mehr
entließ. Die Schönheit und Kraft der Stimmen, die Bayreuth-Niveau besaßen,
überwältigten, und mehrere Blicke ins Programm zeigten immer wieder,
dass nicht ein Orchester bei polnischer Sakral-Musik am Werk war, sondern
die Orgel und das Quartett diese Verzauberung schufen. Bei den Musiken
von Jan von Lublin, Marcin Zebrowski, Stanislaw Szarzynski, Bartlomiej
Pekiel und Jacek Rozycki und den 5 anonymen Stücken aus der Orgeltabulatur
von Krakau 1548, die der Organist solo spielte, stimmte einfach a l
l e s ! Der Abend des 17.8. galt in der Barockbibliothek einem Konzert
am Klavier zu 2 und 4 Händen mit der Familie Shebanova/Drzewiecki. Mutter
Tatiana und Sohn Stanislaw eröffneten mit den Chopin-Variationen d-Dur,
die zu einem wunderbar singenden und springenden Duett zu 4 Händen gelangen.
Der Sohn spielte nun Schuberts Riesenwerk, die "Wanderer-Fantasie",
nahezu ein virtuoses Klavierkonzert ohne Orchester, das, "viersätzig"
ohne Pause, den Versuch unternimmt, e i n Thema zu einem riesigen romantischen
Bild zu entwickeln. Der junge Pianist war sehr gefordert, stürmische
Musik, Akkord-Schläge, aber auch sehr lyrische Harmonien und vollgriffige
Passagen von sehr konzertanter Wirkung unter einen Hut zu bringen, und
man darf ihm zu einer ziemlich gelungenen Wiedergabe gratulieren. Die
Konzertpause war nach diesem Werk dringend nötig. - Mit dem Nocturno
fis-Dur op.15/2 in seiner verfeinerten Harmonienfülle und der mit Doppelgriffen
sich steigernden Barcarole fis-Dur op.60 setzte Tatiana Shebanova fort;
viele Feinheiten dieser Musik erklangen für mich mit etwas zu kräftiger
Hand. Mit 12 Etüden op.33 von Karol Szymanowski gelang dem Pianisten
Jaroslaw ein sofortiges Aufhorchen, denn die Stücke waren sehr modern
und gewöhnungsbedürftig; Roman Statkowskis Toccata fis-Moll op.33 wiederum
ist hochinteressant und faszinierend. Die Eltern, Frau Tatiana und Herr
Jaroslaw, schlossen den Abend mit Jan Paderewskis "Tatra-Album"
op.12/1,2,4,6. Wir durften volkstümlich-schwungvolle Tänze, sehr ausdrucksvolle
Gesänge, stampfende Rhythmen und vorwärts treibende Läufe bis zum Schluß
hören. Diese klingende Wanderung bot tiefe Einblicke in eine intakte
Landschaft. Als Zugabe ließ die Familie einen Walzer von Rachmaninoff
erklingen, der mit 6 Familienhänden an einem Klavier gestaltet wurde
! Der Festival-Abschluß bot eine Opernmatinee am Sonntag. Mitgestalter
am Klavier waren für das Sängerquartett Maria Kokotajlo und Marek Kudlicki,
die mit ihrem fundierten Können viele der bis jetzt völlig unbekannten
Opern-und Arientitel des 2.Teiles verständlicher werden ließen. Mit
seinem profunden Baß in umwerfender Mimik erklang von D. Niemirowicz
die Arie des Kezal aus Smetanas "Verkaufter Braut"; Tschaikowskis
Opern folgten: B. Krahel (Mezzo) sang die Arie der Johanna aus "Jungfrau
von Orleans", und für diese sensible und große Stimme wurde der
Saal zu klein. Der faszinierende Tenor von K. Myrlak verströmte sich
ergreifend in der Arie des Lenski aus "Eugen Onegin", und
der Baß folgte abgrundtief mit der Arie des Fürsten Gremin (Wotan war
nicht weit!). Als zartes Persönchen mit großem Sopran sang A.J. Szumilo
aus "Jolanthe" die Arie der blinden Königstochter, ein großes
Erlebnis. Zu ihr gesellte sich der Mezzo, und nun durften wir im Duett
von Lisa und Pauline aus "Pique Dame" den Atem vor übereinstimmender
Schönheit anhalten und nur noch staunen und danken. Der 2.Teil war unbekannten
Opern polnischer Komponisten gewidmet. Sie waren uns an diesem Sonntag
Vormittag gar nicht so fremd, denn wir "kannten" ja schon
die Sänger und auch die Künstler am Klavier und wussten, dass n u r
Gutes folgen würde. So war es auch. In wunderbarer Zartheit sang die
Sopranistin die Arie der Bronka aus der Oper "Janek" von Wladyslaw
Zelenski (1837-1921); Jan Paderewskis (1860-1941) Manru-Arie aus der
gleichnamigen Oper gestaltete der Tenor mit Leichtigkeit und heldenhafter
Leidenschaft; aus der Oper "Casanova" von Ludomir Rozycki
(1884-1953) erklang die Walzer-Arie der Caton, in der sich A.J. Szumilo
singend und körperlich wiegte. Karol Kurpinski (1785-1857) schrieb die
Oper "Das Schloß zu Czorsztyn", und das Duett Bojomir und
Nikita bot Tenor und Baß nicht nur die Möglichkeit herrlich zu singen,
sondern auch ihre schauspielerischen Fähigkeiten als Ängstlicher und
Held zu beweisen. Den Abschluß bildete die Oper "Das Gespensterschloß"
von Stanislaw Moniuszko (1819-1872). Daraus erklangen die Arie des Skoluba
(Baß: tief und herrlich), Arie der Jadwiga (Mezzo: walkürenartig ohne
Kraftanstrengung), Rezitativ und Duett von Stephan und Zbigniew (Tenor
und Baß als umwerfende Komödianten unter sich) und das "große Quartett"
für alle Vokalisten, die mit den beiden Gestaltern am Klavier ihrer
Heimat, dem Gastland Österreich und dem Chopin-Festival die höchsten
Ehren erwiesen. Besonderer Dank gebührt dem Tenor Kazimierz Myrlak,
einem angesehenen Professor an der Musikakademie in Breslau, dessen
ehemalige Schülerin die hervorragende Sopranistin Agnieszka J. Szumilo
ist. Als Gewinner vieler Wettbewerbspreise, Gastrollen in vielen Ländern
Europas und den USA, sang er auch vor Jahren im Wiener Musikvereinsaal
und wurde, nach riesigem Erfolg mit Mozart, nahezu mit Fritz Wunderlich
verglichen. Herr Myrlak war für den vokalen Teil im Gaming-Festival
d i e zentrale Stelle für Sängerauswahl, Programm, Proben und einem
Gelingen, das bis zur letzten verklungenen Note als grandiose Arbeit
bezeichnet werden darf. - Wiedersehen-und hören dieser Künstler werden
dankbar erwartet.
PS.:
Der Pianist Stanislaw Drzewiecki spielte bei der Warschauer Firma Dux
als sehr beachtliche Aufnahme im Jahr 2000 eine CD mit Chopins 1.Klavierkonzert
und 12 Etuden aus op.10 und op.25 ein (Dux 0199). Einige Mitarbeiter
dieser Firma sollten endlich aufwachen und das Textheft nicht nur in
Polnisch, Englisch und Französisch verfassen, sondern als Zeichen von
wahrer Internationalität für den österreichischen und deutschen Markt
auch in deutscher Sprache erscheinen lassen.
Helmut Batliner