PROF. DR ADAM ZIELIŃSKI powieściopisarz i publicysta

22.06.1929 - 26.06.2010

Cykl reporta¿y AUSTRIAPOLU z okresu 2000 - 2010 po¶wiêcony autorowi
Der polnisch-österreichische Schriftsteller
Prof. Dr. Adam Zieliñski für Austriapol im Gespräch mit Frau Ursula Stenzel, Abgeordnete zum Europaparlament und Leiterin der ÖVP-Delegation in Strassburg.

Adam Zieliñski: Frau Abgeordnete, noch in den 90er Jahre wurden Sie vom EU-Parlament mit der Leitung des Ausschusses für die Aufnahme Polens in die Union beauftragt. Mir ist damals die ehrenvolle Aufgabe zugefallen, als einer von vielen Beratern und Experten Ihnen das "Problem Polen" begreiflich zu machen. Schon bei unserer ersten Begegnung war mir klar: Das ist die richtige Person für die Vermittlung der polnischen Anliegen. Und tatsächlich hat Ihnen Polen ungeheuer viel zu verdanken, was ja auch in der Verleihung des Komturkreuzes mit Stern für Verdienste um die Republik Polen zum Ausdruck kam. Wie haben Sie diese Zeit der Vorbereitung Polens auf die Verhandlungen mit und den Beitritt zur EU erlebt? Ist Ihnen hier etwas bleibend in Erinnerung geblieben?

Ursula Stenzel: Bleibend ist mir in Erinnerung geblieben, dass Polen diesen Ausschuss durch große Persönlichkeiten aufgewertet hat. So war der erste Ministerpräsident des freien Polen Tadeusz Mazowiecki der polnische Präsident dieses Ausschusses. Der erste polnischen Botschafter und langjährige Außenminister Polens W³adys³aw Bartoszewski hat mir seine Freundschaft geschenkt. Ebenso wie der ehemalige Außenminister Bronis³aw Geremek. Die jetzige, erste polnische EU- Kommissarin, Danuta Hübner war von Anfang an meine Partnerin im polnischen Beitrittsprozess. Ich erinnere mich an zwei Vier-Augen-Gespräche mit Präsident Kwa¶niewski und unvergessliche Zusammenkünfte mit Bischof Pieronek. Und die Begegnung mit unzähligen Polen aller Altersschichten. Ich habe diese Aufgabe als eine Mittlertätigkeit zwischen der Europäischen Union und Polen empfunden. Ich war mir immer der Tatsache bewusst, dass es ohne Polen keine Erweiterung der Europäischen Union geben kann.

Adam Zieliñski: Sie haben dann die Leitung des Ausschusses für den Beitritt der Tschechischen Republik übernommen und auch dort hervorragende Arbeit geleistet. Die tschechische Seite hat es Ihnen, vorläufig wenigstens, nicht zu danken gewusst. Immerhin ist die Tschechische Republik gemeinsam mit Polen Mitglied der Europäischen Union geworden. Wie erklären Sie sich diese offensichtliche Diskrepanz?

Ursula Stenzel: Ich habe meine Aufgabe immer als eine europäische erfüllt - als Vertreterin des Europäischen Parlaments. Allerdings war und ist das Verhältnis zwischen Österreich und Tschechien belastet: durch die Bene¹-Frage; also das dunkle Kapitel der Vertreibung der Sudetendeutschen nach 1945. Und durch das Temelin-Problem. Durch die Erklärung von Göttweig 2003 von Ministerpräsident Spidla konnte man in die Frage der Vergangenheitsbewältigung ein wenig Entkrampfung bringen. Eine Geste der Versöhnung steht freilich noch aus. Die Erklärung des tschechischen Parlamentes zu Präsident Bene¹ war nicht hilfreich - und Temelin ist bedauerlicherweise sehr störanfällig. Dazu kommt, dass in der tschechischen Öffentlichkeit mit Ausnahme zweier kleiner Koalitionsparteien - der Christdemokraten und der Freiheitsunion - eine eher EU-skeptische Stimmung herrscht. Trotzdem ist es mir gelungen, ein sehr gutes Gesprächsklima mit den tschechischen Abgeordneten aufzubauen. Und wir haben auch einhellig, den Beitritt Tschechiens zur EU im Europaparlament begrüßt.

Adam Zieliñski: Nach dem "Fest der Völker" in Mariazell haben Sie neuerlich betont, dass Ihnen als überzeugter Christin der Schutz und die Förderung von Minoritäten besonders wichtig ist. Wenn Sie das auf die weit mehr als 50.000 polnischstämmigen Österreicher, die sich zugleich als Österreicher und als Polen fühlen, anwenden, was würde das konkret bedeuten? Können Sie hier etwas in Brüssel bewirken?

Ursula Stenzel: Europa ist ein Europa der Vielfalt in der Einheit. Die Polen, die in Österreich leben, sind eine Bereicherung für unser Land. Sie waren das schon in der Monarchie. Der Polnische Klub im Österreichischen Nationalrat - in dem heute der ÖVP-Klub seine Heimat gefunden hat -legt Zeugnis davon ab. Ganz allgemein bedarf es des Schutzes der Sprachen - auch der Minderheitensprachen - auf europäischer Ebene, damit die Vielfalt der Kulturen erhalten bleibt. Der Grundsatz in der Europäischen Verfassung, die hoffentlich demnächst beschlossen wird, lautet Nicht-Diskriminierung. Das ist ein Wertefundament, das das friedliche Miteinander sichert.

Adam Zieliñski: Wenn Sie, verehrte Frau Abgeordnete, tatsächlich die Minoritäten in der EU derart schützen und fördern wollen, wieso stellen Sie sich dann so entschieden gegen die Aufnahme der Türkei in die Union? Haben Sie hier etwa religiöse und kulturelle Bedenken? Oder fürchten Sie sich einfach vor einem Chaos?

Ursula Stenzel: Ich habe weder religiöse noch kulturelle Bedenken. Das ist nicht der Punkt. Es geht um die Frage, ob die Europäische Union einen Beitritt der Türkei verkraften kann - ohne ihre Gemeinschaftspolitiken zu gefährden. Natürlich geht es auch um die Erfüllung des politischen Kriteriums. Hier hat die Türkei wesentliche Fortschritte gemacht. Allerdings gerade in den Bereichen der Rechtsstellung der Religionen und der Minderheiten - vor allem der Kurden - bisher mehr auf dem Papier, als in der Realität. Die Türkei ist ein wichtiges Brückenland zwischen Europa und Asien. Sie grenzt an einen Krisenherd mit dem Irak und Syrien. Und wir müssen natürlich auch die Sicherheitsfrage stellen. Ich warne davor, in einen Verhandlungsautomatismus zu schlittern, der unausweichlich zu einem Beitritt der Türkei führen muss. Die Europäische Kommission ist gefordert, hier ein Alternativkonzept vorzulegen.

Adam Zieliñski: Frau Abgeordnete, Sie sind eine hervorragende Intellektuelle, Ihr Mann ist ein prominenter österreichischer Schauspieler und Sie haben tagtäglich Umgang mit Menschen aus den Bereichen Kunst, Kultur und Wissenschaft, Bereiche, die in der EU meines Erachtens viel zu wenig gefördert werden. Was können Sie hier als EU-Abgeordnete bewirken? Brauchen wir nicht so etwas wie eine europäische Kultur der Vielfalt, die sowohl Angelegenheit der Mitgliedsstaaten, der Regionen und Nationen ist als auch eine gemeinsame Aufgabe Europas?

Ursula Stenzel: Die Europäische Union wird nur dann bestehen können, wenn sie jedem einzelnen Mitgliedsland Spielraum lässt. Aber schon die Vergangenheit hat gezeigt, dass kein Land als Mitglied der Europäischen Union seine Identität verloren hat. Österreicher sind Österreicher geblieben. Luxemburger sind Luxemburger geblieben. Die Polen werden Polen bleiben.

Adam Zieliñski: Vis a vis dem Österreichischen Parlament habe ich heute ein Plakat mit einer Ihrer Losungen gesehen: Für Frieden, Freiheit und Sicherheit. Ich gestehe, dass ich erschrocken bin, als ich das las: 25 Nationen sind heute in der EU und haben sich mit über 100.000 Seiten diverser Verträge zusammengeredet - und trotzdem muss man sich noch immer oder schon wieder für diese drei Aufgaben einsetzen?

Ursula Stenzel: Ja. Man muss sich ständig dafür einsetzen, weil Frieden, Freiheit und Sicherheit keine Selbstverständlichkeit sind. Die Europäische Union ist aufgrund ihrer Methode - Probleme gemeinsam zu lösen - Konflikte durch Verhandlungen und Interessensausgleich zu bewältigen, das erfolgreichste Friedensprojekt, das Europa je hatte. Aber deshalb haben die Gefährdungen des Friedens nie aufgehört. Ethnische Konflikte auf dem Balkan, ein immer noch ungelöstes Nah-Ost-Problem, islamisch inspirierter anti-westlicher Terrorismus und ganz allgemein organisierte Kriminalität. Dagegen muss sich die Europäische Union schützen. Durch die Stärkung europäischer Institutionen -z.B. einem Europafahnder, einem europäischen Staatsanwalt, einem Anti-Terror-Beauftragten, der wirklich durch Kompetenzen seine Funktion ausüben kann. Und durch einen entsprechenden Schutz der Außengrenzen. Missbrauch von Asyl, sowie illegale Migration muss gemeinsam bekämpft werden.

Adam Zieliñski: Frau Abgeordnete, Ihre Schwerpunkte sind "Arbeit und Wirtschaft", "Migration und Sicherheit", "Verkehr und Infrastruktur", "Chancen für die Jugend suchen" und ähnliches. Das ist ein imponierend. Dennoch plagt mich ein gewisses Unbehagen, weil ich vermisse, was mir besonders wichtig erscheint: Quo vadis Europa? Wie wird Europa schlussendlich aussehen? Es scheint mir, dass wir zwar unterwegs sind zu unserem Europa, dass wir uns aber gerade in einem Tunnel befinden und nicht wissen, was auf uns wartet, wenn wir am Ende des Tunnels ankommen. Welche Perspektiven werden wir haben? Schön, es gibt bereits eine gemeinsame Währung, wachsenden Wohlstand, einen gemeinsamen Wirtschaftsraum - aber soll das alles gewesen sein?

Ursula Stenzel: Wir haben noch nicht überall eine gemeinsame Währung. Und wir sind erst am Beginn einer Selbstfindung in Bezug auf unsere Verteidigungs- und Sicherheitsunion. Das ist ein Faktum. Deshalb muss man aber an Europa nicht zweifeln. Wir leben in einem Prozess, der uns ein friedliches Miteinander sichert und damit natürlich auch wirtschaftlichen Fortschritt und sozialen Frieden. Der größte Binnenmarkt der Welt - mit fast 500 Millionen Einwohnern - ist die richtige Antwort auf den globalen Wettbewerb. Aber es ist natürlich kein abgeschlossener Prozess. Und es wird nicht schlagartig dazu führen, dass jeder in gleicher Weise davon profitiert. Es wird dauern - siehe deutsche Wiedervereinigung. Aber wir Europäer sollten die Geduld nicht verlieren. Wir sind auf dem richtigen Weg. Die Europäische Union ist noch sehr jung.

Adam Zieliñski: Oft ist heutzutage die Rede von der in ganz Europa herrschenden "sozialen Kälte". Wird es irgendwann ein soziales Europa geben? Sind hier die Christlichsozialen nicht besonders herausgefordert? Und wird dieses soziale Europa auch ein Kontinent der ökologischen Chancengleichheit sein? Ich erinnere hier nur an die Transitproblematik, die sich durch die Erweiterung sicher noch verschärfen wird und Hunderttausende österreichische Landsleute betrifft.

Ursula Stenzel: Europa ist bereits eine Sozialunion. Wir haben das Ziel, ein Europa der Vollbeschäftigung zu haben. Ebenso wie das Ziel der Preisstabilität in den neuen europäischen Verfassungsvertrag geschrieben. Allerdings, und das ist vernünftig, bleibt die Sozialpolitik in erster Linie nationale Verantwortung. Ich bin keine Anhängerin des Neoliberalismus. Aber durchaus wirtschaftsfreundlich, denn nur Wirtschaft schafft Arbeitsplätze. Und wer Arbeitsplätze schafft, ist sozial. Natürlich gilt es, die Verkehrsproblematik europaweit zu lösen. Umwelt und Menschen schonend, aber natürlich auch so, dass Waren in diesem großen Markt einfach und preisgünstig transportiert werden können. Daher trete ich für sensible Zonen und Zeiten ein für die Querfinanzierung von der Straße auf die Schiene und den Ausbau auch der Wasserwege. Österreich muss sich ankoppeln und nicht abkoppeln.

Adam Zieliñski: Nennen Sie uns bitte die drei wichtigsten Gründe, warum österreichische bzw. in Österreich lebende Polinnen und Polen, Tschechinnen und Tschechen, Ungarinnen und Ungarn, Slowakinnen und Slowaken usw. am 13. Juni zur Wahl gehen und der Abgeordneten Ursula Stenzel bzw. ihrer Partei ihre Stimme geben sollen?

Ursula Stenzel: Das ist ganz einfach. Ich bin eine überzeugte Europäerin. Und die Erweiterung, für die ich jahrelang gearbeitet habe, hat uns unseren Nachbarn endlich wieder nahe gebracht. Nun ist der Eiserne Vorhang endgültig überwunden. Das bedeutet für die gesamte mitteleuropäische Region große Chancen. Es kann ein goldenes Fünfeck entstehen - zwischen Wien, Bratislava, Budapest, Prag und Warschau. Vom Süden mit Slowenien - und hoffentlich bald Kroatien - eine Belebung des gesamten Alpen-Adria-Raumes. Ich werde für die Stärkung dieses partnerschaftlichen Europas eintreten. Für mehr Sicherheit in diesem Raum. Und ganz einfach für die Verständigung der Menschen untereinander. Europäische Bürger sind wir alle. Und bringen mit unseren vielfältigen Identitäten neuen Reichtum in unsere Heimatländer und die Europäische Union.

Adam Zieliñski:Frau Abgeordnete Stenzel, ich danke für dieses Gespräch und wünschen Ihnen alles Gute für die Zukunft.


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