Zum 50. Geburtstag von
Helga Busek am 20. Dezember des Jahres .... - nein, das Jahr nenne ich
nicht, denn Sie könnten davon das heutige Alter der Dame ableiten und
das schickt sicht nicht - ... aus gegebenem Anlass also beschloss meine
Frau Sophie, unter der Mitwirkung von Freunden eine besondere Party
zu geben. Es sollte ein Fest mit Witz sein und es so war beabsichtigt,
Helga Busek an diesem Abend zu einer Königin zu krönen.
"Würden Eminenz", fragte ich Kardinal König, der natürlich
auch eingeladen war, "für Helga eine Laudatio halten und sie in
der Folge zur Königin krönen?" "Aber selbstverständlich!"
war die prompte Antwort: "Ich würde aber für diesen Zweck ein Schwert
benötigen. Wir schlagen sie damit auf die Schulter, denn allein mit
der Ausrufung zur Königin wäre alles weniger lustig. Besorgen Sie mir
ein schwer wirkendes Schwert aus Schaumstoff. Wir wollen sehen, wie
Helga Busek reagieren wird, wenn ich mit diesem Schwert zum Schlag ansetze."
Alles wurde bis ins kleinste Detail rechtzeitig vorbereitet, als plötzlich,
vier Tage vor dem festgelegten Datum, meine Sophie einen schweren Herzinfarkt
erlitt. Sie wurde sofort ins AKH eingeliefert und der Plan mit Helgas
Geburtstag fiel ins Wasser. Eine Woche danach, am Stephanitag, kam im
AKH Panik auf: Kardinal Dr. Franz König war nämlich völlig spontan und
unangesagt gekommen, um Sophie zu besuchen, ihr vom Christkind ein passendes
Geschenk zu überreichen und sie mit dem nötigen Optimismus zu mobilisieren.
Er sprach ihr geduldig Mut zu und bestärkte sie in ihrem Genesungswillen.
Vor Sophies Zimmer hatten sich inzwischen alle möglichen Leute eingefunden.
Manche dachten, der Kardinal persönlich würde ihr die Letzte Ölung spenden.
Andere rätselten, wer denn die Dame sei, die Eminenz da auf das Jenseits
vorbereitet. Wiederum andere, und hier vor allem Sophies Freunde, deren
es im AKH viele gibt, waren bestürzt, dass ihr Zustand tatsächlich derart
kritisch und die Letzte Ölung offensichtlich notwendig sei. Der Kardinal
erkannte die Situation, der, unfreiwillig und absichtslos freilich,
ein gewisser Witz eignete, und informierte die Anwesenden mit gleichermaßen
heiterer und ernster Stimme: "Was hier geschieht, hat für Österreich
große Bedeutung, wir haben nämlich in diesem Zimmer Pläne geschmiedet,
für Wien eine Königin auszurufen!" "Im Ernst?" fragte
einer der Ärzte und der Kardinal zögerte nicht mit seiner Antwort: "Ganz
und gar im Ernst! Wenn Dr. Sophie Zielinski das AKH gesund verlässt,
bekommt die Republik mit ihrer Hilfe und unter ihrer Beteiligung eine
Königin!". Meine erste Begegnung mit Kardinal König fand im Herbst
des Jahres 1978 statt. Eminenz geruhte damals, mich mit ihrer Sympathie
zu beschenken und das geschah kurz nachdem Kardinal Karol Wojty³a zum
Papst gewählt worden war. Der Wiener Kardinal bat mich, ihm während
seines geplanten Aufenthaltes in Peking mit meinen Chinakenntnissen
beizustehen. Zum besseren Verständnis muss ich hier hinzufügen, dass
ich zum damaligen Zeitpunkt bereits über hundert Reisen ins Land der
Mitte absolviert hatte und daher in Österreich und darüber hinaus als
ein Chinaexperte galt, obwohl ich in Wirklichkeit herzlich wenig über
Mao Tse Tung und seine Milliarde Landsleute wusste. Kardinal König plante,
Peking via Moskau anzufliegen, wo es "unterwegs" noch etwas
zu erledigen galt, und bat mich ihn zu begleiten. Mit Freude erklärte
ich meine Bereitschaft, ihm mit meinem Assistenten Thomas Janauschek
in Peking zur Verfügung zu stehen, bat jedoch um Verständnis, dass ich
nicht mit ihm über Moskau anreisen fliegen könne, denn ich fürchtete
die Sowjetunion wie die Pest und scheute selbst einen Flug über deren
Territorium. Wir vereinbarten schlussendlich, Eminenz, die übrigens
in China incognito aufzutreten wünschte, vom Pekinger Flughafen abzuholen,
unabhängig davon ob ihn dort Chinesen, egal welchen Ranges, erwarten
würden. Am Vortag des vereinbarten Treffens in Peking flogen wir via
Kanton in Chinas Hauptstadt. In Hongkong, von wo wir starteten, herrschte
Schönwetter bei plus 28 Grad, am Abend in Peking hatten wir es mit minus
14 Grad und dazu einem Schneesturm aus der Mongolei zu tun. Thomas Janauschek
und ich saßen in kurzärmligen Baumwollhemden im Hotel und draußen wütete
ein erbarmungsloser Winter. Nun, im Peking des Jahres 1978 konnte man
nicht einmal ein Taschentuch ohne Bezugschein erhalten. Wie kommt man
in einer solchen Situation zu warmen, unter Umständen das Leben rettenden
Mänteln? Ein Ding der Unmöglichkeit! Nach fieberhaftem Bemühen - ich
aktivierte alle meine "Kanäle" - erwirkten wir für den nächsten
Morgen einen Termin beim Bürgermeister der Stadt Peking. Das allein
grenzte bereits an ein Wunder, zumal nur er bevollmächtigt war, uns
Bezugscheine für Wintermäntel zuzuteilen. Die Maschine aus Moskau, mit
der Eminenz Peking zu erreichen plante, sollte um 11.30 landen. Thomas
und mir hat man aber erst gegen 15 Uhr knöchellange, warme, blaue "Mao
Tse Tung-Baumwollmäntel", gebracht. Sie waren um gute drei Größen
größer als nötig, dazu erhielten wir mongolische Mützen aus gleichem
Material, natürlich auch um drei Größen zu groß. In höchster Eile fuhren
wir ins "Hotel Peking". Erster Blick in die Halle: Eminenz
ist da! Der Kardinal schaute uns erstaunt an. Im ersten Moment hatte
er und in unserem Mao Tse Tung-Look offensichtlich gar nicht erkannt,
und dann hatte er sich wohl gedacht, er hätte es mit einer Maskerade
zu tun. Er verlor aber nicht den freundlichen Ausdruck seines Gesichtes.
"Ende gut, alles gut!" sagte er zum Schluss: "Als ich
Sie am Pekinger Flughafen nicht sah, wollte ich mich am liebsten mit
Flüchen abreagieren. Aber passt das zu einem Kardinal? Wissen Sie, wie
sich Eminenz Spellman in einer ähnlichen Situation verhielt?" Wir
wussten es nicht; Kardinal König hatte stets einen auffallenden Sinn
für Humor und setzte fort: "Als jemand Kardinal Spellman bei einem
Empfanges in New York ungeschickter Weise eine Fleischsauce auf die
neue Soutane schüttete, fragte dieser die Anwesenden: ‚Hätte einer der
Gentlemen die Freundlichkeit, den Gefühlen, dies sich meiner eben bemächtigt
haben, Ausdruck zu geben?" Kardinal König meinet weiter: "Leider
gibt es um uns herum gerade keine Gentlemen! Aber Ihr seid sicher beinahe
erfroren. Ich helfe euch mit einer sehr wirksamen Medizin!" Bald
stand auf dem Tisch in der Mitte seines Hotelzimmers eine Flasche Cognac,
den wir aus Zähneputzgläsern tranken. Eminenz sagte in perfektem Polnisch:
"Na zdrowie!" Thomas Janauschek, der oft mit mir nach Jugoslawien
fuhr und dort nicht viel mehr als das elementare "Schiveli"
gelernt hatte, stotterte auf serbisch: "Schiveli!" - "Schiveli!"
antwortete Eminenz und setzte hinzu: "Od dakle ste gospodyne?"
Ihm machte es keine Schwierigkeiten, sich auch in dieser Sprache zu
verständigen. Just im diesem Moment fragte ich den Kardinal: "Eminenz,
man erzählt sich, Kardinal Wojty³a sei auf Ihren Vorschlag hin zum Papst
gewählt worden. Stimmt das?" Kardinal König erhob drohend den Finger:
"Ihr Polen seid unmöglich! Kaum trinkt ihr ein bisschen Alkohol,
schon wollt ihr alles wissen!". Ich verstand nicht gleich und sagte:
"Vielleicht soll ich anders fragen, Eminenz: Stimmt es, dass ich
Sie jetzt schon mit ‚Heiliger Vater’ ansprechen müssen, wenn Sie beim
letzten Konklave die mögliche Wahl zum Nachfolger Petri angenommen hätten?".
Da antwortete Kardinal König höflich, weise und doch auch belehrend
mit einer Gegenfrage:
"Stimmt es, Adam Zielinski, dass Sie russische Lieder singen? Wir
wollen eines hören!". Ich verstand, welchen Fauxpas ich mit meiner
Frage begangen hatte und begann das Lied "Kalinka" zu singen,
zuerst zögerlich, dann immer lauter, bis der Kardinal mitsummte und
mich plötzlich zu meiner Überraschung in bestem Russisch korrigierte:
"Nein, mein Lieber! Sie haben den Text durcheinander gebracht.
Es geht nämlich so..." Und er sang "Kalinka" mit einem
russischen Akzent, um den ihn selbst mancher Russe beneiden hätte können.
Seit dieser Zeit sprachen Eminenz und ich miteinander sehr oft russisch
("Übung, mein Lieber, Übung!"), aber ich muss hier öffentlich
gestehen, dass Eminenz mich, der ich doch in Russisch maturiert habe,
was Wortschatz und Aussprache angeht, eindeutig überbot. Eminenz zeigte
ganz besonders großes Interesse an meinen Erlebnissen aus dem Zweiten
Weltkrieg. Ich berichtete vom Holocaust, über die Auswüchse des Antisemitismus,
erzählte von Ho³obutów, wo Tausende Juden meiner galizischen Heimatstadt
Stryj, verscharrt worden sind, beschrieb ihm meine Flucht aus dem Vernichtungslager
Belz. Er machte sich Notizen, ließ sich die Namen der Ortschaften und
der Gefolterten buchstabieren, animierte mich alles Erlebte schriftlich
festzuhalten und dann dieses unbedingt zu veröffentlichen. Kardinal
Dr. Franz König wurde damit zum Verursacher meiner späteren, schriftstellirischen
Aktivitäten. Als wir uns einige Jahre später zur Chanukka-Feier bei
Professor Jacob Allerhand in dessen Wiener Wohnung trafen, bat mich
der Kardinal: "Würden Sie uns das Lied "Kalinka" vorsingen?
Aber bitte in der richtigen Version!" Offensichtlich enttäuschte
ich ihn dieses Mal nicht, denn er begann, übrigens unterstützt von Kaplan
Paterno, mitzusummen und forderte auch Gastgeber Jacob Allerhand und
die Gäste dazu auf, das Lied mitzusingen. Ich hatte den Eindruck, dass
sich Kardinal König so für meine Assistenz in Peking bedanken wollte.
Erst vor wenigen Monaten erschienen in Krakau die Memoiren des ehemaligen
Vizebürgermeisters der Stadt Jan Garlicki. Auf Seite 135 dieses Buches
findet ein Foto vom Krakau-Besuch des Kardinals im Jahr 1963. In der
dritten Reihe der Fotografierten steht bescheiden ein gewisser Bischof
Karol Wojty³a. Jan Garlicki äußert sich in seinem Buch zu Kardinal König
wie folgt: "Der Gast aus Wien vermittelt den Eindruck von einem
anderen Planeten zu kommen. Er predigt den Glauben an Gott als allerwichtigste
Priorität, er meint die Zukunft liegt in der Religion, er lobt uns Polen
für unsere Treue zur Gottesmutter Maria! Was für ein seltener Mut, welche
Bescheidenheit und Güte!" Kardinal König, dem ich dieses Buch und
das Foto mit dem Karol Wojtyla schickte, schrieb mir am 14. November
2003 zurück: "Ich benütze meinerseits gerne die Gelegenheit, um
dem Bürgermeister von Krakau meine Anerkennung für dieses Zeichen der
alten Verbundenheit, die zwischen Krakau und Wien besteht, zum Ausdruck
zu bringen!" Eminenz geruhte, mit meiner Wenigkeit einen Brief-Kontakt
zu halten und wenn meine Gesundheit es zu lässt und Schicksal es gut
mit mir meint, werde ich unsere Korrespondenz eines Tages veröffentlichen.
Aus ihr kann man die menschliche Güte und Großzügigkeit des Kardinals
herauslesen, der fand Zeit, jede meiner Veröffentlichungen zu lesen,
dazu Stellung zu nehmen und Neues zu suggerieren. Aber meisten beeindruckt
mich in seinen Briefen seine Achtung für das Volk, das einen gewissen
Wojty³a der Welt schenkte, und seine Wertschätzung für die "älteren
Brüder", wie er die Juden nannte. Fast in jedem seiner Briefe findet
sich eine Anmerkung zum Thema Holocaust und der an mich gerichtete Appell:
"Sie können nicht genug davon schreiben... Wer weiß, ob das nicht
gerade die wahre Mission Ihres Lebens ist!" Bei uns zu Hause begegnete
Eminenz den Buseks, den Neumayers, den Gieses und stets verstand er
es, uns allen zuzuhören und schien weniger daruf Wert zu legen, dass
wir seinen Ausführungen lauschten. Ihn interessierten die Meinungen
und das Wissen der Mitmenschen über alles. Er interessierte sich für
alles. Ein Beispiel dafür: Nach einer Diskussion in unserem Haus, führte
ich ihn gegen Mitternacht in die Millergasse, aber unser Dialog über
den Alexander Solschenizyn war noch immer nicht beendet. Er schlug daher
vor, noch zu ihm auf ein Glas Wein zu kommen, und erst als wir uns eine
Meinung über diesen Schriftsteller gebildet hatten, - es war bereits
gegen zwei Uhr in der Nacht - durfte ich "Gute Nacht, Eminenz!"
sagen. Vor etlichen Monaten, als Eminenz den Titel "Doktor honoris
causa" der Jagiellonischen Universität Krakau verliehen bekam,
nahm ich mit ihm ein Interview für das Polnische Fernsehen auf: "Euch
Polen", sagte damals der Kardinal, "müsste man sämtliche Sünden
schon deswegen nachlassen, weil aus Eurem Volk unser Papst kommt!".
Am 18. Februar 2004, als Kardinal König wieder einmal den Titel des
"Dr. h. c." verliehen bekam, diesmal von der Universität Cluj,
klang seine Dankesrede wie ein großer Abschied. Er ahnte das nahe Ende
seines reichen, fruchtbaren und uns alle beglückenden Lebens. Als der
Wiener Alterzbischof und neue Klausenburger Ehrendoktor gerade mit den
Mitgliedern des Senats von Cluj-Napoca fotografiert wurde, kam er auf
mich zu und sagte: "Adam Zielinski, in Ihrem nächsten Roman müssen
Sie an die Neunte von Beethoven und die Ode an die Freude, die wir gerade
gehört haben, anknüpfen und den Satz "Alle Menschen werden Brüder"
korrigieren. Würden Sie mir diese Gefälligkeit erweisen? Schreiben Sie
einfach: "Alle Menschen sind Brüder". Versprechen Sie mir
das?". Heute ist mir bewusst, dass das die letzten Worte waren,
die Kardinal König zu mir gesprochen hat. So lange meine Hand die Feder
führen kann, werde ich von diesem Vermächtnis erzählen: "Alle Menschen
sind Brüder!" Eminenz, das verspreche ich feierlich!
Kardinal
Franz König in seinem Vorwort des von Rembert J. Schleicher herausgegebenen
Bandes "Der letzte Galizianer. Adam Zielinski auf der Spur"
(Frankfurt am Main / Wien 2000): Adam Zielinski sucht den Menschen.
Dazu verpflichtet ihn sein Name, der ihm von seinem Vater - bewusst
oder unbewusst - als Lebensprogramm mitgegeben wurde. Die Literatur
ist ihm für sein kompromissloses Fragen nach dem Menschen ein ideales
Medium. Sein (auch sehr praktisches!) Engagement für Menschenwürde und
Toleranz stünde so manchem sich gläubig nennenden Christen gut an. Dabei
hätte Adam Zielinski viele Gründe, am Menschen zu verzweifeln. (...)
Hätte Adam Zielinski ein Lebensmotto zu wählen, so würde es wahrscheinlich
heißen: "homo homini homo". (...) Es ist noch viel zu tun,
dass der Mensch dem Menschen ein Mensch werde.