Adam Zieliñski: Begegnungen mit Kardinal Dr. Franz König
(31. 3. 2004, Otto-Mauer-Zentrum: "Kardinal König und Polen - Ein Abend des Gedenkens")
 

Zum 50. Geburtstag von Helga Busek am 20. Dezember des Jahres .... - nein, das Jahr nenne ich nicht, denn Sie könnten davon das heutige Alter der Dame ableiten und das schickt sicht nicht - ... aus gegebenem Anlass also beschloss meine Frau Sophie, unter der Mitwirkung von Freunden eine besondere Party zu geben. Es sollte ein Fest mit Witz sein und es so war beabsichtigt, Helga Busek an diesem Abend zu einer Königin zu krönen.
"Würden Eminenz", fragte ich Kardinal König, der natürlich auch eingeladen war, "für Helga eine Laudatio halten und sie in der Folge zur Königin krönen?" "Aber selbstverständlich!" war die prompte Antwort: "Ich würde aber für diesen Zweck ein Schwert benötigen. Wir schlagen sie damit auf die Schulter, denn allein mit der Ausrufung zur Königin wäre alles weniger lustig. Besorgen Sie mir ein schwer wirkendes Schwert aus Schaumstoff. Wir wollen sehen, wie Helga Busek reagieren wird, wenn ich mit diesem Schwert zum Schlag ansetze." Alles wurde bis ins kleinste Detail rechtzeitig vorbereitet, als plötzlich, vier Tage vor dem festgelegten Datum, meine Sophie einen schweren Herzinfarkt erlitt. Sie wurde sofort ins AKH eingeliefert und der Plan mit Helgas Geburtstag fiel ins Wasser. Eine Woche danach, am Stephanitag, kam im AKH Panik auf: Kardinal Dr. Franz König war nämlich völlig spontan und unangesagt gekommen, um Sophie zu besuchen, ihr vom Christkind ein passendes Geschenk zu überreichen und sie mit dem nötigen Optimismus zu mobilisieren. Er sprach ihr geduldig Mut zu und bestärkte sie in ihrem Genesungswillen. Vor Sophies Zimmer hatten sich inzwischen alle möglichen Leute eingefunden. Manche dachten, der Kardinal persönlich würde ihr die Letzte Ölung spenden. Andere rätselten, wer denn die Dame sei, die Eminenz da auf das Jenseits vorbereitet. Wiederum andere, und hier vor allem Sophies Freunde, deren es im AKH viele gibt, waren bestürzt, dass ihr Zustand tatsächlich derart kritisch und die Letzte Ölung offensichtlich notwendig sei. Der Kardinal erkannte die Situation, der, unfreiwillig und absichtslos freilich, ein gewisser Witz eignete, und informierte die Anwesenden mit gleichermaßen heiterer und ernster Stimme: "Was hier geschieht, hat für Österreich große Bedeutung, wir haben nämlich in diesem Zimmer Pläne geschmiedet, für Wien eine Königin auszurufen!" "Im Ernst?" fragte einer der Ärzte und der Kardinal zögerte nicht mit seiner Antwort: "Ganz und gar im Ernst! Wenn Dr. Sophie Zielinski das AKH gesund verlässt, bekommt die Republik mit ihrer Hilfe und unter ihrer Beteiligung eine Königin!". Meine erste Begegnung mit Kardinal König fand im Herbst des Jahres 1978 statt. Eminenz geruhte damals, mich mit ihrer Sympathie zu beschenken und das geschah kurz nachdem Kardinal Karol Wojty³a zum Papst gewählt worden war. Der Wiener Kardinal bat mich, ihm während seines geplanten Aufenthaltes in Peking mit meinen Chinakenntnissen beizustehen. Zum besseren Verständnis muss ich hier hinzufügen, dass ich zum damaligen Zeitpunkt bereits über hundert Reisen ins Land der Mitte absolviert hatte und daher in Österreich und darüber hinaus als ein Chinaexperte galt, obwohl ich in Wirklichkeit herzlich wenig über Mao Tse Tung und seine Milliarde Landsleute wusste. Kardinal König plante, Peking via Moskau anzufliegen, wo es "unterwegs" noch etwas zu erledigen galt, und bat mich ihn zu begleiten. Mit Freude erklärte ich meine Bereitschaft, ihm mit meinem Assistenten Thomas Janauschek in Peking zur Verfügung zu stehen, bat jedoch um Verständnis, dass ich nicht mit ihm über Moskau anreisen fliegen könne, denn ich fürchtete die Sowjetunion wie die Pest und scheute selbst einen Flug über deren Territorium. Wir vereinbarten schlussendlich, Eminenz, die übrigens in China incognito aufzutreten wünschte, vom Pekinger Flughafen abzuholen, unabhängig davon ob ihn dort Chinesen, egal welchen Ranges, erwarten würden. Am Vortag des vereinbarten Treffens in Peking flogen wir via Kanton in Chinas Hauptstadt. In Hongkong, von wo wir starteten, herrschte Schönwetter bei plus 28 Grad, am Abend in Peking hatten wir es mit minus 14 Grad und dazu einem Schneesturm aus der Mongolei zu tun. Thomas Janauschek und ich saßen in kurzärmligen Baumwollhemden im Hotel und draußen wütete ein erbarmungsloser Winter. Nun, im Peking des Jahres 1978 konnte man nicht einmal ein Taschentuch ohne Bezugschein erhalten. Wie kommt man in einer solchen Situation zu warmen, unter Umständen das Leben rettenden Mänteln? Ein Ding der Unmöglichkeit! Nach fieberhaftem Bemühen - ich aktivierte alle meine "Kanäle" - erwirkten wir für den nächsten Morgen einen Termin beim Bürgermeister der Stadt Peking. Das allein grenzte bereits an ein Wunder, zumal nur er bevollmächtigt war, uns Bezugscheine für Wintermäntel zuzuteilen. Die Maschine aus Moskau, mit der Eminenz Peking zu erreichen plante, sollte um 11.30 landen. Thomas und mir hat man aber erst gegen 15 Uhr knöchellange, warme, blaue "Mao Tse Tung-Baumwollmäntel", gebracht. Sie waren um gute drei Größen größer als nötig, dazu erhielten wir mongolische Mützen aus gleichem Material, natürlich auch um drei Größen zu groß. In höchster Eile fuhren wir ins "Hotel Peking". Erster Blick in die Halle: Eminenz ist da! Der Kardinal schaute uns erstaunt an. Im ersten Moment hatte er und in unserem Mao Tse Tung-Look offensichtlich gar nicht erkannt, und dann hatte er sich wohl gedacht, er hätte es mit einer Maskerade zu tun. Er verlor aber nicht den freundlichen Ausdruck seines Gesichtes. "Ende gut, alles gut!" sagte er zum Schluss: "Als ich Sie am Pekinger Flughafen nicht sah, wollte ich mich am liebsten mit Flüchen abreagieren. Aber passt das zu einem Kardinal? Wissen Sie, wie sich Eminenz Spellman in einer ähnlichen Situation verhielt?" Wir wussten es nicht; Kardinal König hatte stets einen auffallenden Sinn für Humor und setzte fort: "Als jemand Kardinal Spellman bei einem Empfanges in New York ungeschickter Weise eine Fleischsauce auf die neue Soutane schüttete, fragte dieser die Anwesenden: ‚Hätte einer der Gentlemen die Freundlichkeit, den Gefühlen, dies sich meiner eben bemächtigt haben, Ausdruck zu geben?" Kardinal König meinet weiter: "Leider gibt es um uns herum gerade keine Gentlemen! Aber Ihr seid sicher beinahe erfroren. Ich helfe euch mit einer sehr wirksamen Medizin!" Bald stand auf dem Tisch in der Mitte seines Hotelzimmers eine Flasche Cognac, den wir aus Zähneputzgläsern tranken. Eminenz sagte in perfektem Polnisch: "Na zdrowie!" Thomas Janauschek, der oft mit mir nach Jugoslawien fuhr und dort nicht viel mehr als das elementare "Schiveli" gelernt hatte, stotterte auf serbisch: "Schiveli!" - "Schiveli!" antwortete Eminenz und setzte hinzu: "Od dakle ste gospodyne?" Ihm machte es keine Schwierigkeiten, sich auch in dieser Sprache zu verständigen. Just im diesem Moment fragte ich den Kardinal: "Eminenz, man erzählt sich, Kardinal Wojty³a sei auf Ihren Vorschlag hin zum Papst gewählt worden. Stimmt das?" Kardinal König erhob drohend den Finger: "Ihr Polen seid unmöglich! Kaum trinkt ihr ein bisschen Alkohol, schon wollt ihr alles wissen!". Ich verstand nicht gleich und sagte: "Vielleicht soll ich anders fragen, Eminenz: Stimmt es, dass ich Sie jetzt schon mit ‚Heiliger Vater’ ansprechen müssen, wenn Sie beim letzten Konklave die mögliche Wahl zum Nachfolger Petri angenommen hätten?". Da antwortete Kardinal König höflich, weise und doch auch belehrend mit einer Gegenfrage:
"Stimmt es, Adam Zielinski, dass Sie russische Lieder singen? Wir wollen eines hören!". Ich verstand, welchen Fauxpas ich mit meiner Frage begangen hatte und begann das Lied "Kalinka" zu singen, zuerst zögerlich, dann immer lauter, bis der Kardinal mitsummte und mich plötzlich zu meiner Überraschung in bestem Russisch korrigierte: "Nein, mein Lieber! Sie haben den Text durcheinander gebracht. Es geht nämlich so..." Und er sang "Kalinka" mit einem russischen Akzent, um den ihn selbst mancher Russe beneiden hätte können. Seit dieser Zeit sprachen Eminenz und ich miteinander sehr oft russisch ("Übung, mein Lieber, Übung!"), aber ich muss hier öffentlich gestehen, dass Eminenz mich, der ich doch in Russisch maturiert habe, was Wortschatz und Aussprache angeht, eindeutig überbot. Eminenz zeigte ganz besonders großes Interesse an meinen Erlebnissen aus dem Zweiten Weltkrieg. Ich berichtete vom Holocaust, über die Auswüchse des Antisemitismus, erzählte von Ho³obutów, wo Tausende Juden meiner galizischen Heimatstadt Stryj, verscharrt worden sind, beschrieb ihm meine Flucht aus dem Vernichtungslager Belz. Er machte sich Notizen, ließ sich die Namen der Ortschaften und der Gefolterten buchstabieren, animierte mich alles Erlebte schriftlich festzuhalten und dann dieses unbedingt zu veröffentlichen. Kardinal Dr. Franz König wurde damit zum Verursacher meiner späteren, schriftstellirischen Aktivitäten. Als wir uns einige Jahre später zur Chanukka-Feier bei Professor Jacob Allerhand in dessen Wiener Wohnung trafen, bat mich der Kardinal: "Würden Sie uns das Lied "Kalinka" vorsingen? Aber bitte in der richtigen Version!" Offensichtlich enttäuschte ich ihn dieses Mal nicht, denn er begann, übrigens unterstützt von Kaplan Paterno, mitzusummen und forderte auch Gastgeber Jacob Allerhand und die Gäste dazu auf, das Lied mitzusingen. Ich hatte den Eindruck, dass sich Kardinal König so für meine Assistenz in Peking bedanken wollte. Erst vor wenigen Monaten erschienen in Krakau die Memoiren des ehemaligen Vizebürgermeisters der Stadt Jan Garlicki. Auf Seite 135 dieses Buches findet ein Foto vom Krakau-Besuch des Kardinals im Jahr 1963. In der dritten Reihe der Fotografierten steht bescheiden ein gewisser Bischof Karol Wojty³a. Jan Garlicki äußert sich in seinem Buch zu Kardinal König wie folgt: "Der Gast aus Wien vermittelt den Eindruck von einem anderen Planeten zu kommen. Er predigt den Glauben an Gott als allerwichtigste Priorität, er meint die Zukunft liegt in der Religion, er lobt uns Polen für unsere Treue zur Gottesmutter Maria! Was für ein seltener Mut, welche Bescheidenheit und Güte!" Kardinal König, dem ich dieses Buch und das Foto mit dem Karol Wojtyla schickte, schrieb mir am 14. November 2003 zurück: "Ich benütze meinerseits gerne die Gelegenheit, um dem Bürgermeister von Krakau meine Anerkennung für dieses Zeichen der alten Verbundenheit, die zwischen Krakau und Wien besteht, zum Ausdruck zu bringen!" Eminenz geruhte, mit meiner Wenigkeit einen Brief-Kontakt zu halten und wenn meine Gesundheit es zu lässt und Schicksal es gut mit mir meint, werde ich unsere Korrespondenz eines Tages veröffentlichen. Aus ihr kann man die menschliche Güte und Großzügigkeit des Kardinals herauslesen, der fand Zeit, jede meiner Veröffentlichungen zu lesen, dazu Stellung zu nehmen und Neues zu suggerieren. Aber meisten beeindruckt mich in seinen Briefen seine Achtung für das Volk, das einen gewissen Wojty³a der Welt schenkte, und seine Wertschätzung für die "älteren Brüder", wie er die Juden nannte. Fast in jedem seiner Briefe findet sich eine Anmerkung zum Thema Holocaust und der an mich gerichtete Appell: "Sie können nicht genug davon schreiben... Wer weiß, ob das nicht gerade die wahre Mission Ihres Lebens ist!" Bei uns zu Hause begegnete Eminenz den Buseks, den Neumayers, den Gieses und stets verstand er es, uns allen zuzuhören und schien weniger daruf Wert zu legen, dass wir seinen Ausführungen lauschten. Ihn interessierten die Meinungen und das Wissen der Mitmenschen über alles. Er interessierte sich für alles. Ein Beispiel dafür: Nach einer Diskussion in unserem Haus, führte ich ihn gegen Mitternacht in die Millergasse, aber unser Dialog über den Alexander Solschenizyn war noch immer nicht beendet. Er schlug daher vor, noch zu ihm auf ein Glas Wein zu kommen, und erst als wir uns eine Meinung über diesen Schriftsteller gebildet hatten, - es war bereits gegen zwei Uhr in der Nacht - durfte ich "Gute Nacht, Eminenz!" sagen. Vor etlichen Monaten, als Eminenz den Titel "Doktor honoris causa" der Jagiellonischen Universität Krakau verliehen bekam, nahm ich mit ihm ein Interview für das Polnische Fernsehen auf: "Euch Polen", sagte damals der Kardinal, "müsste man sämtliche Sünden schon deswegen nachlassen, weil aus Eurem Volk unser Papst kommt!". Am 18. Februar 2004, als Kardinal König wieder einmal den Titel des "Dr. h. c." verliehen bekam, diesmal von der Universität Cluj, klang seine Dankesrede wie ein großer Abschied. Er ahnte das nahe Ende seines reichen, fruchtbaren und uns alle beglückenden Lebens. Als der Wiener Alterzbischof und neue Klausenburger Ehrendoktor gerade mit den Mitgliedern des Senats von Cluj-Napoca fotografiert wurde, kam er auf mich zu und sagte: "Adam Zielinski, in Ihrem nächsten Roman müssen Sie an die Neunte von Beethoven und die Ode an die Freude, die wir gerade gehört haben, anknüpfen und den Satz "Alle Menschen werden Brüder" korrigieren. Würden Sie mir diese Gefälligkeit erweisen? Schreiben Sie einfach: "Alle Menschen sind Brüder". Versprechen Sie mir das?". Heute ist mir bewusst, dass das die letzten Worte waren, die Kardinal König zu mir gesprochen hat. So lange meine Hand die Feder führen kann, werde ich von diesem Vermächtnis erzählen: "Alle Menschen sind Brüder!" Eminenz, das verspreche ich feierlich!

Kardinal Franz König in seinem Vorwort des von Rembert J. Schleicher herausgegebenen Bandes "Der letzte Galizianer. Adam Zielinski auf der Spur" (Frankfurt am Main / Wien 2000): Adam Zielinski sucht den Menschen. Dazu verpflichtet ihn sein Name, der ihm von seinem Vater - bewusst oder unbewusst - als Lebensprogramm mitgegeben wurde. Die Literatur ist ihm für sein kompromissloses Fragen nach dem Menschen ein ideales Medium. Sein (auch sehr praktisches!) Engagement für Menschenwürde und Toleranz stünde so manchem sich gläubig nennenden Christen gut an. Dabei hätte Adam Zielinski viele Gründe, am Menschen zu verzweifeln. (...) Hätte Adam Zielinski ein Lebensmotto zu wählen, so würde es wahrscheinlich heißen: "homo homini homo". (...) Es ist noch viel zu tun, dass der Mensch dem Menschen ein Mensch werde.

 

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